Königin des Mondes, Königin der Sonne,
Königin der Himmel, Königin der Sterne,
Königin der Wasser, Königin der Erde,
Bringe uns das Kind der Verheißung!
Es ist die Große Mutter, die ihn gebärt;
Es ist der Herr des Lebens, der wiedergeboren wird;
Finsternis und Tränen weichen,
Wenn die Sonne zeitig sich erheben wird!

Goldene Sonne der Hügel und Berge,
Erleuchte das Land, erleuchte die Welt,
Erleuchte die Meere, erleuchte die Flüsse
Sorge wird niedergelegt, freue dich Welt!
Gesegnet sei die Große Göttin
Ohne Anfang, ohne Ende,
Immer während für alle Ewigkeit
Io Evo! He! Seid gesegnet!



Zur Wintersonnwende treffen die zwei Gottesthematiken des Jahreskreislaufs zusammen - auf eine sogar noch dramatischere Weise als zur Sommersonnwende. Jul markiert den Tod und die Wiedergeburt des Sonnengottes; gleichfalls markiert es die Bezwingung des Stechpalmenkönigs, des Gottes des Abnehmenden Jahres, durch den Eichenkönig, den Gott des Zunehmenden Jahres. Die Göttin, Tod-im-Leben zu Mittsommer, zeigt nun ihren Leben-im-Tod-Aspekt; denn obgleich sie zu dieser Jahreszeit die “aussätzig-bleiche Herrin“ ist, die Königin der kalten Finsternis, ist dies doch der Moment für sie, in dem sie das Kind der Verheißung gebiert, den Liebhaber-Sohn, der sie aufs Neue befruchten und ihrem Königreich Licht und Wärme zurückgeben wird.

Die Geschichte der weihnachtlichen Geburt ist die christliche Version des Themas der Wiedergeburt der Sonne, denn Christus ist der Sonnengott des Fischezeitalters. Der Geburtstag Christi ist in den Evangelien nicht datiert, und es dauerte bis zum Jahr 273, dass die Kirche den symbolisch einfühlsamen Schritt unternahm, ihn offiziell auf Mittwinter festzulegen, um Christus in eine Linie mit den anderen Sonnengöttern zu bringen (so wie der persische Mithras, der ebenfalls zur Wintersonnwende geboren wurde). Wie der Heilige. Chrysostomos, Erzbischof von Konstantinopel ein Jahrhundert danach, mit löblicher Offenheit erklärte, musste die Geburt “des Sohnes der Gerechtigkeit“ so festgesetzt werden, damit “während die Heiden mit ihren profanen Riten beschäftigt waren, die Christen ihre heiligen (Riten) ungestört aufführen konnten“.

“Profan“ oder “heilig“ war Ansichtssache, weil beide grundsätzlich das selbe feierten - die Wende der Jahreszeit von der Finsternis zum Licht. Als der Heilige Augustus die Christen drängte, es zu Ehren dessen, der die Sonne schuf, anstatt der Sonne selbst zu begehen, erkannte er die solare Bedeutung des Festes an.

Maria zu Bethlehem ist wiederum die Göttin als Leben-im-Tode. Hieronymus, der größte Gelehrte der christlichen Väter, der von 386 bis zu seinem Tod im Jahr 420 in Bethlehem lebte, berichtet uns von einem Hain auch des Adonis (Tammuz) dort. Nun war Tammuz, der Geliebte der Göttin Ishtar, in jenem Teil der Welt das höchste Vorbild des Sterbenden und Wiederauferstandenen Gottes. Er war (wie die meisten seines Schlags) ein Gott der Vegetation oder des Korns, und, wie das Sakrament des Brotes nahe legt, absorbierte Christus diesen typischen Aspekt ebenso wie den solaren.
Es ist hierbei also auch bezeichnend, dass der Name Bethlehem “Haus des Brotes“ bedeutet.

Die Resonanz zwischen dem Kornzyklus und dem Sonnenzyklus spiegelt sich in vielen Bräuchen wider: zum Beispiel in der schottischen Tradition, die Kornjungfer (die letzte geerntete Handvoll) bis Jul aufzubewahren und sie dann unter dem Vieh zu verteilen, damit es das ganze Jahr hindurch gedeihe; oder in der anderen Richtung, in der deutschen Tradition, die Asche des Julscheits auf den Feldern zu verstreuen oder seine verkohlten Überreste aufzubewahren, um sie in die letzte Garbe der nächsten Ernte einzubinden.

Um auf Maria zurückzukommen: Es war schwerlich überraschend, dass das Christentum, um als Religion überleben zu können, der Himmelskönigin wieder einen ihrem wahren Rang ähnlichen Status zubilligen musste, mitsamt einer Mythologie und einer Verehrung im Volk, die weit über die biblischen Angaben über Maria hinausging (und mit diesen sogar manchmal in Konflikt geriet).

Der Protestantismus verfiel dem anderen Extrem und versuchte in unterschiedlichem Ausmaß, die Göttin wiederum ganz und gar zu verbannen.
Alles was er erreichte, war die Einbuße der Magie, die der Katholizismus, in welch verzerrter und verkrüppelter Form auch immer, bewahrte; denn die Göttin lässt sich nicht verbannen.

Die Göttin hat zu Jul auch den Vorsitz über die andere Gottesthematik - jene des Eichenkönigs und des Stechpalmenkönigs, welche ebenfalls in volkstümlicher christlicher Tradition überlebt hat, so sehr sie auch von der offiziellen Theologie ignoriert wurde. In den Maskenspielen zur Julzeit erschlug der strahlende Heilige Georg den dunklen “Türkischen Ritter“ und rief sofort danach aus, er habe seinen Bruder erschlagen. “Dunkelheit und Licht, Winter und Sommer sind einander komplementär. Also tritt der geheimnisvolle “Doktor“ mit seiner magischen Flasche hervor und belebt den Erschlagenen wieder, und alles endet mit Musik und Jubel. Es gibt viele örtliche Abwandlungen dieses Spiels, doch die Handlung ist grundsätzlich überall gleich.

Allzu oft ist natürlich das harmonische Gleichgewicht des dunklen und des lichten Zwillingsbruders, des nötigen Wachsens und Schwindens, in ein Konzept des Gut-gegen-Böse verzerrt worden. In Dewsbury zu Yorkshire haben die Kirchenglocken seit fast sieben Jahrhunderten in der letzten Stunde des Weihnachtsabends “des Teufels Totenglocken“ oder “des Alten Burschen Abgang‘ eingeläutet und den Prinz des Bösen gewarnt, dass der Prinz des Guten komme, um ihn zu vernichten. Ab Mitternacht läuten sie einen Willkommensgruß an die Geburt hinaus. Eine ehrenwerte Sitte an ihrer Oberfläche - tatsächlich aber enthält sie eine traurige Herabwürdigung des Stechpalmenkönigs.

Seltsamerweise spiegelt sich dieselbe Degradierung im volkstümlichen Namen “Old Nick“ für den Teufel wider. Nik war ein Name für Wotan, der in hohem Maß eine Stechpalmenkönig-Gestalt ist - so wie auch Santa Claus, der Heilige Nikolaus (der in früher Folklore kein Rentier, sondern ein weißes Pferd am Himmel ritt - wie Wotan). Nik, der Gott des Abnehmenden Jahres, ist also in zwei Formen christianisiert worden: als Satan und als der leutseligste aller Heiligen.

Eine außerordentlich hartnäckige Version des Stechpalmenkönig/Eichenkönig - Themas zur Wintersonnwende ist das rituelle Jagen und Töten des Zaunkönigs -ein Volksbrauch, der zeitlich und räumlich so weit getrennt aufzufinden ist wie im alten Griechenland und Rom und heute auf den Britischen Inseln. Der Zaunkönig, der “kleine König“ des Abnehmenden Jahres, wird von seinem Gegenstück des Zunehmenden Jahres, dem Rotkehlchen, getötet, das ihn in einem Efeu verborgen findet (in Irland auch manchmal in einem Stechpalmenstrauch, was zum Stechpalmenkönig passt). Der Baum des Rotkehlchens ist die Birke, der im keltischen Baumkalender auf die Wintersonnwende folgt. Im ausgeübten Ritual wurde der Zaunkönig von Männern mit Birkenruten getötet.

Die Wiedergeburt zur Wintersonnwende und die Rolle der Göttin darin wurden im alten Ägypten durch ein Ritual porträtiert, in welchem Isis zum Ausdruck ihrer Trauer um ihn und ihrer Wanderungen auf der Suche nach seinen verstreuten Körperteilen den Schrein des Osiris sieben Mal umkreiste.
Typhon oder Seth, der Bruder/Feind, der ihn tötete, wurde durch das Schütteln von Isis‘ Sistrum (ägyptische Rassel) vertrieben, um so Osiris Wiedergeburt durch Isis zuwege bringen zu können. Isis selbst wurde durch das Bild einer Kuh mit der Sonnenscheibe zwischen den Hörnern dargestellt. Für das Fest schmückten die Leute ihre Häuser außen mit Öllampen, welche die ganze Nacht über brannten. Um Mitternacht traten die Priester aus einem inneren Schrein hervor und riefen: “Die Jungfrau ist niedergekommen! Das Licht nimmt zu!“, und zeigten den Andächtigen das Bild eines Babys. Die schlussendliche Grablegung des toten Osiris geschah am 21. Dezember, nach seinem langen Mumifizierungsritual (das interessanterweise am 3. November begann - praktisch zu Samhain); am 23. Dezember gebar seine Schwester/Gemahlin Isis seinen Sohn/sein anderes Selbst, Horus. Osiris und Horus stellen gleichzeitig die solaren und die Vegetationsgottesaspekte dar; Horus ist sowohl die wiedergeborene Sonne (die Griechen identifizierten ihn mit Apollo) als auch der “Herr der Feldfrüchte“. Ein anderer Name des Horus, ‘Stier Deiner Mutter“, erinnert uns daran, dass das Gott-Kind der Göttin an einem anderen Punkt des Zyklus ihr Liebhaber und Befruchter ist, somit zur gegebenen Zeit Vater seines eigenen wiedergeborenen Selbst.

Die Lampen, die am Vorabend des Mittwinters die ganze Nacht hindurch brennen, überleben in Irland und anderswo als die einzelne Kerze, die im Fenster am Weihnachtsabend brennt, und die vom Jüngsten des Hauses entzündet wird -ein Symbol des mikrokosmischen Willkommensgrußes an den Makrokosmos, nicht unähnlich dem Extragedeck, das auf der Pessachtafel einer jüdischen Familie bereitgestellt wird (an welcher Tafel übrigens der jüngste Sohn mit seiner Frage: “Vater, warum ist der heutige Abend anders als alle anderen Abende?“ auch eine traditionelle Rolle zu spielen hat).

In Athen war das winterliche Sonnenwendritual, die Leneae, das Fest der Wilden Frauen. Hier wurde der Tod und die Wiedergeburt des Erntegottes Dionysos aufgeführt. In grauer Vorzeit war es ein Opferritual des Gottes gewesen, und die neun Wilden Frauen hatten seinen menschlichen Stellvertreter in Stücke zerrissen und ihn aufgegessen. Zu klassischen Zeiten jedoch waren die Titanen die Opferbringer geworden, das Opfer war durch ein Zicklein ersetzt, und die neun Wilden Frauen waren zu Trauernden und zu Zeuginnen der Geburt geworden. Die Wilden Frauen tauchen auch in den nordischen Sagen auf; als Waelcyrges (Walküren) ritten sie mit Wotan auf seiner Wilden Jagd.